Bindungsstörung

Die Bindungsstörungen des Kindes gehören gemäß ICD-10 zur Gruppe gestörter sozialer Funktionen. Es wird unterschieden in
reaktive Bindungsstörung des Kindesalters (F94.1, entspricht „gehemmte Form“ im DSM-IV) und
Bindungsstörung des Kindesalters mit Enthemmung (F94.2, entspricht „ungehemmte Form“ im DSM-IV).

Die Symptome einer reaktiven Bindungsstörung im Kindesalter sind:

1. Störungen der sozialen Funktion:
• Abnormes Beziehungsmuster zu Betreuungspersonen mit einer Mischung aus Annäherung und Vermeidung und Widerstand gegen Zuspruch
• Eingeschränkte Interaktion mit Gleichaltrigen
• Beeinträchtigung des sozialen Spielens
• Gegen sich selbst und andere gerichtete Aggressionen und

2. Emotionale Auffälligkeiten
• Furchtsamkeit
• Übervorsichtigkeit
• Unglücklichsein
• Mangel an emotionaler Ansprechbarkeit
• Verlust/Mangel an emotionalen Reaktionen
• Apathie
• „frozen watchfulness“ („eingefrorene Wachsamkeit“).

Im Rahmen der Diagnostik sollen die Störungen im sozialen und emotionalen Bereich nicht nur gegenüber einer Person, sondern in verschiedenen sozialen Situationen zu beobachten sein. Die reaktive Bindungsstörung tritt besonders bei jüngeren Kindern auf.

Die Ursachen einer reaktiven Bindungsstörung im Kindesalter sind vor allem in Vernachlässigung und Verwahrlosung im frühen Kindesalter zu sehen.

Die Symptome einer Bindungsstörung im Kindesalter mit Enthemmung sind überwiegend Störungen der sozialen Funktionen:

• Abnormes Beziehungsmuster zu Betreuungspersonen mit einer Mischung aus Annäherung und Vermeidung und Widerstand gegen Zuspruch
• Inadäquate Reaktionen auf Beziehungsangebote von Bezugspersonen
• Nicht-selektives Bindungsverhalten mit wahlloser Freundlichkeit und Distanzlosigkeit
• Gleichförmige Interaktionsmuster gegenüber Fremden
• Eingeschränkte Interaktion mit Gleichaltrigen
• Beeinträchtigung des sozialen Spielens
• Gegen sich selbst und andere gerichtete Aggressionen

Emotionale Auffälligkeiten können vorkommen, stehen aber nicht im Vordergrund. Die Bindungsstörung mit Enthemmung entwickelt sich in der Regel im fünften Lebensjahr aus der erstgenannten Störung.

Diagnostik von Bindungsstörungen

Die Symptome von Bindungsstörungen ähneln denen anderer möglicher Diagnosen. Symptomähnliche Diagnosen können sein:
• Psychosoziale Probleme infolge von sexueller oder körperlicher Misshandlung im Kindesalter
• Körperliche Probleme infolge von Misshandlung
• Autismus (Diagnostikunterschied: Sprachvermögen intakt)
• Asperger Syndrom
• Anpassungsstörungen/ Schizoide Persönlichkeitsstörung/ Formen der Schizophrenie (Diagnostikunterschied: keine Wahnvorstellungen)
• Kognitive Behinderungen (Diagnostikunterschied: Intelligenz normal ausgeprägt)

Im Rahmen der Diagnostik müssen diese möglichen anderen Störungen ausgeschlossen werden.

Hierbei ist ein sorgfältiges Vorgehen erforderlich. Durch:

• die Exploration der Bezugspersonen: allgemeiner Entwicklungsverlauf des Kindes, Entwicklung der Symptomatik, Lebensbedingungen, Wechsel von Bezugspersonen, Betroffensein von aktiver oder passiver Misshandlung und/oder sexuellem Missbrauch
• Informationen von Fachkräften, die das Kind kennen (Schule, Kindergarten, Kinderarzt, Jugendamt): Verhalten, Entwicklungsstand und Leistung
• die Exploration des Kindes (in Abhängigkeit vom Alter): Ausmaß der Störungen, der aktuellen und zu erwartenden Beeinträchtigungen und
• eine körperliche und psychiatrische Untersuchung des Kindes: Ausschluss symptomähnlicher Diagnosen

soll ein möglichst umfassendes Bild entstehen.

Zudem ist zu untersuchen, ob möglicherweise Begleitstörungen (z.B. Störungen des Sozialverhaltens, Hyperkinetische Störungen, Angststörungen) vorliegen.

Behandlung von Bindungsstörungen

Ziele der Behandlung von Bindungsstörungen sind
1. die (Wieder-)Herstellung eines die Entwicklung fördernden Bezugsrahmens, der dem Kind Bindungsstabilität bieten kann. Dies kann u.U. die Herausnahme aus dem derzeitigen Bezugsrahmen nötig machen. Der Bezugsrahmen soll idealerweise alle das Kind betreffenden psychosozialen Kontakte umfassen (Familie, Pflegefamilie, Heim, Kindergarten, Schule…) und
2. die Aufarbeitung der eventuell bestehenden Entwicklungsbeeinträchtigungen.

Dies kann auf ambulantem, teilstationärem oder stationärem Weg erfolgen. Welche Art der Behandlung angezeigt ist, ist abhängig von dem Schweregrad der Störung, von Ausmaß und Auftreten von Entwicklungsbeeinträchtigungen (wie stark, nur in der Familie oder auch an anderen Orten) und der Funktionsfähigkeit des psychosozialen Umfeldes.

Ambulante Behandlung

Ist die Funktionsfähigkeit überwiegend nur in einem Bereich gestört (z.B. Familie) und ist die Eingliederung in den bisherigen Bezugsrahmen wieder möglich, kommt eine ambulante Behandlung in Betracht.
Sie umfasst
• die Aufklärung der familiären Bezugspersonen über die Symptomatik und evtl. Begleitstörungen und über Verlauf und Prognose sowie die Beratung und Begleitung der Bezugspersonen im Hinblick auf ihr Verhalten dem Kind gegenüber (Reflexion/ Supervision, Verhaltensänderung, Verhaltensteuerung, Stärkung)
• Aufklärung und Beratung von Erziehern und Lehrern und anderen nicht-familiären Bezugspersonen
• Aufklärung des Kindes (in altersangemessener Weise) bzgl. der Gründe seines Verhaltens
• psychotherapeutische Einzel- oder Gruppenmaßnahmen
• evtl. funktionelle Therapien (z.B. Krankengymnastik, Logopädie, Ergotherapie), sofern entsprechende Entwicklungsstörungen vorliegen
• evtl. medikamentöse Therapie
• evtl. Behandlung von Begleitstörungen wie hyperkinetisches Syndrom

Teilstationäre Behandlung

Ist die Funktionsfähigkeit in mehr als einem Bereich gestört (z.B. Schule und Familie), eine Eingliederung in den bisherigen Bezugsrahmen jedoch wieder möglich, kommt eine teilstationäre Behandlung in Betracht. Sie bedeutet z.B. die tageweise Unterbringung des Kindes in einer sozialpädagogischen Tagespflege oder einer Tagesgruppe der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Dort erfolgen die therapeutischen Angebote an das Kind.

Die teilstationäre Behandlung entlastet die Bezugspersonen, stellt aber gleichzeitig sehr hohe Anforderungen an ihre Kooperationsbereitschaft und –fähigkeit, da das (bindungsgestörte!) Kind einem ständigen Wechsel des Bezugsrahmens ausgesetzt ist.

Stationäre Behandlung

Die stationäre Behandlung ist dann angezeigt, wenn aufgrund des Schweregrades der Symptomatik die Eingliederung des Kindes in sein bisheriges bindungsstabiles Milieu nicht unmittelbar möglich ist, sondern längerfristig vorbereitet werden muss.

Im Rahmen der stationären Behandlung mit dem Ziel der Wiedereingliederung in den bisherigen Bezugsrahmen ist es unabdingbar, dass dem Kind die Bezugspersonen erhalten bleiben.

Ist eine Rückkehr in das bisherige Lebensumfeld nicht möglich (z.B. weil das bisherige Lebensumfeld des Kindes sich als nicht Entwicklungsfördernd und Bindungsstabil erweist oder weil die Schwere der Symptomatik im bisherigen Bezugsrahmen des Kindes nicht aufgefangen werden kann), müssen Maßnahmen der Jugendhilfe eingeleitet werden (z.B. Herausnahme aus der leiblichen Familie, Pflegestellenwechsel).

Bindungsfähigkeit

Die Grundlagen der Bindungsfähigkeit werden im ersten Lebensjahr des Kindes angelegt.

Ab dem Tag der Geburt ist das Verhalten des Kindes daran ausgerichtet, die Aufmerksamkeit einer erwachsenen Person zu erhalten. Hierfür verfügt es über ein biologisch angelegtes Repertoire an Verhaltensweisen: weinen, schreien, glucksen, grinsen…, die der erwachsenen Person signalisieren, wie sich das Kind fühlt und was es benötigt.

Für die gesunde Entwicklung eines Säuglings ist es absolut notwendig, dass seine primäre Bindungsperson feinfühlig ist. Das heißt, die Signale des Säuglings müssen von der erwachsenen Bezugspersonen verstanden und die dahinter stehenden Bedürfnisse unmittelbar, regelmäßig und zuverlässig befriedigt werden. Dies stellt die existentiellen Grundbedürfnisse (Nahrung, Sauberkeit, Wärme) sicher und gibt dem Kind die Sicherheit, sich auf die Erkundung der Welt einzulassen.

Die erwachsene Bezugsperson muss nicht zwangsläufig die leibliche Mutter sein. Auch andere Erwachsene können diese Rolle übernehmen, wenn sie dem Kind liebevoll begegnen, beständig und für das Kind gefühlsmäßig erreichbar sind und ihre Zahl überschaubar ist. Zwar liebevoll zugewandte, aber ständig wechselnde Bezugspersonen können dem Bindungsbedürfnisses eines Säuglings/ Kleinkindes nicht gerecht werden.

Werden die Signale des Kindes erkannt und seine Bedürfnisse zuverlässig, liebevoll und beständig erfüllt, kann das Kind eine sichere Bindung eingehen. Es wächst in dem Bewusstsein von Sicherheit und Geborgenheit auf und erhält daraus die Zuversicht, auch in neuen Situationen Schutz finden zu können und sie nicht als Bedrohung zu erleben. Es kann „die Welt erkunden“.
Ein bindungssicheres Kind verhält sich eher unternehmungslustig. Solange die Eltern in Sichtweise sind, bewegt es sich von ihnen fort, um seine Umgebung zu erforschen. Es entwickelt Neugier und Selbstständigkeit, denn es weiß, dass es im Zweifelsfall beschützt wird. In ungewohnten Situationen schwindet jedoch seine Neugier und es sucht die Nähe seiner erwachsenen Bezugspersonen, um zunächst von dort aus – sicher und beschützt – die neuen Erfahrungen einzuschätzen.

Das Erleben einer sicheren Bindung und damit verbunden die positiv geprägten Erlebnisse und Erfahrungen führt zu einer Hirnreifung. Bei der Geburt ist das Gehirn nur mit den „genetisch verankerten Programmen“ ausgestattet, die überlebensnotwendig sind. „Alles andere“ muss sich entwickeln. Das Gehirn muss reifen, es werden Vernetzungen aufgebaut. Die Entwicklung dieses Reifungsprozesses ist abhängig von den Erfahrungen, die das Kind macht und den Dingen, die es erlebt. Positive Erfahrungen und Altersangemessene und ausreichende Anreize fördern die Reifung des Gehirns – sowohl im Bereich der kognitiven als auch der emotionalen und sozialen Fähigkeiten. Aus diesem Prozess entsteht eine emotionale Bindung, die für ein ganzes Leben wichtig ist.

Erleben Kinder in dieser sehr frühen Phase ihres Lebens (und auch darüber hinaus) ihre erwachsenen Bezugspersonen als nicht dauerhaft zuverlässig und beständig, sondern als ambivalent, desorientiert oder gar abweisend oder müssen sie die Erfahrung machen, dass ihre „Bindungsangebote“ (die Signale, die sie geben) nicht angenommen oder falsch gedeutet werden (z.B. bei Vernachlässigung), kann es nicht nur zu körperlich existentiellen Problemen, sondern auch zu langfristigen Bindungsstörungen mit Folgeschäden in der emotionalen Gesundheit kommen.

Bereitschaftspflege

Bereitschaftspflegefamilien nehmen Kinder oder Jugendliche in akuten oder chronischen Notsituationen (rund um die Uhr) bis zur weiteren Klärung ihrer Situation auf. Die Kinder kehren dann entweder zu ihren Familien zurück oder werden in Pflegefamilien bzw. Einrichtungen vermittelt. Bereitschaftspflegeeltern müssen sich darüber im Klaren sein, dass es ständig neue, veränderte Situationen in ihren Familien gibt.Sie müssen flexibel in ihen Handlungen und Gedanken sein.

Besuchskontakte

Besuchkontakte stellen für Pflegeeltern und leibliche Eltern oft eine besondere Herausforderung dar.

Leibliche Eltern werden mit der Familie konfrontiert, die „es besser macht“ und müssen erleben, dass ihr Kind sich an „fremde Personen“ bindet. Dennoch ist es wichtig, dass sich leibliche Eltern darum bemühen, nicht den Pflegeeltern die Schuld für die Unterbringung dort zu geben.

Pflegeeltern werden mit der Herkunft des Kindes konfrontiert und damit, was das Kind vor der Unterbringung bei ihnen, erleben musste. Das bringt häufig Gefühle wie Trauer oder Wut mit sich. Dies ist verständlich. Dennoch ist es wichtig, dass die Pflegeeltern sich bezüglich der leiblichen Eltern um eine Unterscheidung von Persönlichkeit und dem, was sie (nicht) getan haben, bemühen. Pflegeeltern müssen und sollen die Vorkommnisse, die zur Herausnahme des Kindes geführt haben, nicht tolerieren, verschweigen oder beschönigen, sie dürfen aber dennoch die Personen nicht verachten.

Wenn dies gelingt, können auch Besuchskontakte positiv verlaufen. Hierbei werden sowohl die leiblichen Eltern als auch die Pflegeeltern häufig Unterstützung durch das Jugendamt benötigen.

Wer hat ein Anrecht auf Besuchkontakte?

Gem. § 1684 BGB haben Kinder einen Anrecht auf Umgang mit beiden Elternteilen. Dies gilt grundsätzlich auch für Kinder, die nicht mehr bei ihren Eltern leben. Auch die Eltern haben ein Recht auf Umgang mit dem Kind. Dieses Recht besteht unabhängig davon, ob die Eltern noch sorgeberechtigt sind.
Durch Besuchskontakte sollen leibliche Eltern und Kind den gegenseitigen Kontakt halten.

Gem. § 1685 BGB haben auch andere für das Kind wichtige Bezugspersonen (Großeltern, Stiefelternteil, Lebenspartner der Mutter, ehemalige Pflegeeltern), wenn diese tatsächliche Verantwortung für das Kind übernommen hatten, ein Recht auf Umgang mit dem Kind. Der Umgang mit nahen Bezugspersonen soll dem Kind eine größtmögliche Kontinuität ermöglichen, extreme Brüche verhindern und eine Verbindung zwischen verschiedenen Lebenssituationen schaffen.

Welches Ziel haben Besuchskontakte?

Je nach Unterbringungsform des Kindes werden durch die Besuchskontakte unterschiedliche Ziele verfolgt.

Ist innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes die Rückkehr zu den leiblichen Eltern geplant, dienen die Besuchskontakte der Erhaltung und Festigung der Bindung.

Bei dauerhaftem Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie soll durch die Besuchskontakte erreicht werden, dass sich Pflegekind und leibliche Eltern nicht vollständig entfremden, sondern dass sie um- und voneinander wissen.
Pflegekinder – auch wenn sie bereits als Baby in die Pflegefamilie kamen – wachsen in dem Bewusstsein auf, zwei Eltern (-paare) zu haben und wollen in der Regel „irgendwann“, spätestens in der Pubertät, um ihre Herkunft wissen. Sie wollen die Gründe der Unterbringung verstehen können und eventuell Fragen an ihre leiblichen Eltern stellen, möchten wissen, wo sie ihren Eltern ähneln und wo sie sich unterscheiden… Findet ein durchgängiger Kontakt statt, lässt sich für die Kinder ihre Lebenssituation oft leichter begreifen.

Wurde der Umgang z. B. aufgrund schwerer Traumatisierungen ausgeschlossen oder machen die Eltern von ihrem Besuchsrecht keinen Gebrauch, ist es sinnvoll, für das Kind Informationen und ggf. Fotos zu sammeln, um bei Fragen Antworten geben zu können.

Wer entscheidet über die Besuchskontakte?

Die Planung und Durchführung von Besuchskontakten ist immer an den Bedürfnissen des Pflegekindes zu orientieren aber auch daran, dass die leiblichen Eltern ein Anrecht darauf haben, an der Entwicklung ihres Kindes teilzuhaben.

Über die Ausgestaltung von Besuchskontakten wird in der Hilfeplanung entschieden. Jugendamt, Vormund, leibliche Eltern und Pflegeeltern vereinbaren sich über die Häufigkeit und Dauer der Besuchkontakte, über den Ort und eventuelle weitere Rahmenbedingungen (z.B. begleiteter Umgang) und evtl. Veränderungen zu vorherigen Absprachen.

Wo und wie häufig finden Besuchskontakte statt?

Besuchskontakte können an einem neutralen Ort, z.B. Spielplatz oder Spielzimmer im Jugendamt stattfinden.

Besuchskontakte können auch im Haushalt der Pflegefamilie stattfinden. Pflegeeltern haben aber keine Verpflichtung, dies zuzulassen (Unverletzlichkeit der Wohnung).

Leibliche Eltern können das Kind zum Besuchskontakt abholen und nach Ablauf der vereinbarten Zeit zurückbringen.

Welche „Form“ des Besuchskontaktes gewählt wird, ist immer im Einzelfall abzuwägen. Hierbei sind die Bedürfnisse und das Alter des Kindes, die Vorerfahrungen in der leiblichen Familie, die aktuelle Situation in der Herkunftsfamilie, die Einstellung der leiblichen Eltern zur und das Ziel der Unterbringung (dauerhaft oder Rückführung geplant) des Kindes u.a. zu berücksichtigen.
Gleiches gilt für die Häufigkeit und Dauer der Besuchskontakte.

Gibt es immer Besuchskontakte?

Die Umgangskontakte dürfen das Wohl des Kindes nicht gefährden oder schädigen. Außerdem haben sich die Eltern und weitere Umgangspersonen des Kindes so zu verhalten, dass Beziehungen des Kindes zu den Pflegeeltern nicht beeinträchtigt werden und die Erziehung des Kindes durch den Umgang nicht erschwert wird (§ 1684 Abs. 2 BGB).

Stellen Besuchskontakte eine Gefährdung des Kindeswohles dar (z.B. bei traumatisierten Kindern, die durch die Besuche retraumatisiert werden) können die Umgangskontakte ausgesetzt werden. Auch hierzu bedarf es einer Vereinbarung im Rahmen der Hilfeplanung. Ist diese nicht erreichbar, kann über das Gericht eine Aussetzung der Umgangskontakte beantragt werden (§ 1684 Abs. 4 BGB).

Erfahren die Eltern dann gar nichts über das Kind?

Wurde der Umgang von leiblichen Eltern zu ihrem Kind ausgeschlossen,
steht ihnen ersatzweise ein Auskunftsrecht zu (§ 1686 BGB), sofern sie ein berechtigtes Interesse haben und das Auskunftsrecht keine Kindeswohlgefährdung bedeutet.

Im Rahmen des Auskunftsrechtes stehen den Eltern regelmäßige Informationen über die allgemeine Entwicklung des Kindes zu, nicht jedoch Informationen über jeden kleinen Entwicklungsschritt oder in kurzen zeitlichen Abständen.

Beistand gem. §13 SGB X

Wenn Menschen sich im Umgang mit Ämtern und Behörden unsicher fühlen oder sich in schwierigen Situationen befinden, in denen sie sich mit Ämtern und Behörden auseinandersetzen müssen, haben sie gem. § 13 SGB X die Möglichkeit, zu Terminen bei Ämtern und Behörden eine Person ihres Vertrauens, einen Beistand, mitzunehmen, der ihnen zur Seite steht oder einen Bevollmächtigen die Verhandlungen für sich führen zu lassen.

Pflegeeltern können im Pflegeverhältnis an einen Punkt kommen, an dem sie Gespräche mit dem Jugendamt nicht mehr alleine wahrnehmen möchten. Wenn sich im Rahmen der Hilfeplanungen unterschiedliche Ansichten ergeben, wenn sich Pflegeeltern von Fachkräften nicht (ausreichend) unterstützt oder von der Herkunftsfamilie angegriffen fühlen, kann es hilfreich sein, eine Vertrauensperson an der Seite zu wissen.

Jede Person kann Beistand sein: eine Freundin, der Nachbar, eine Fachkraft… Wer als Beistand mitgenommen wird, sollte davon abhängig gemacht werden, weswegen er als notwendig empfunden wird. Werden z.B. moralische Unterstützung oder ein Gesprächszeuge benötigt, könnte eine befreundete Pflegemutter Beistand sein. Geht es um konträre fachliche Ansichten oder fühlen sich die Pflegeeltern durch ihre Fachkraft nicht ausreichend unterstützt, bietet es sich an, eine fachlich versierte Person als Beistand zu wählen, z.B. ein Mitglied eines Verbandes. Viele Pflegeelternverbände bilden Mitglieder für die Aufgabe als Beistand aus.

Beistände können eine Pflegefamilie gut unterstützen, sie sind aber keine „Handlanger“ der Pflegefamilie. Geht es rein um moralische Unterstützung und nicht um inhaltliche Auseinandersetzung, kann die Beistandschaft ein Freundschaftsdienst sein. Wird jedoch durch den Beistandes auch fachliche Unterstützung erwartet (oder vertritt der Beistand eine Organisation, z.B. einen Pflegeelternverband) wird er vorab mit den Pflegeeltern besprechen, welche Erwartungen an ihn gerichtet werden, welche Positionen er vertreten soll und ob diese aus seiner Sicht angemessen sind. Ist dies nicht der Fall wird er versuchen, mit der Pflegefamilie eine auch für ihn tragbare Lösung zu entwickeln oder die Beistandschaft ablehnen.

Die Aufgabe des Beistandes ist es nicht, bestehende Konflikte unmittelbar zu lösen.
Dies ist und bleibt Aufgabe der Beteiligten des Pflegeverhältnisses.
Der Beistand kann aber gemeinsam mit den Pflegeeltern das Gespräch vorbereiten, er kann emotional unbeteiligt Problemstellungen von mehreren Seiten beleuchten und Sichtweisen und Argumente der Pflegeeltern diskutieren und gewichten. Er kann Lösungswege vorschlagen. Dies kann bereits im Vorfeld eines Gespräches für Entlastung sorgen und Sicherheit oder sogar neue Sichtweisen schaffen.
Während des Gespräches kann der (in der Regel emotional unbeteiligte) Beistand auch dann noch dem Gespräch ruhig und aufmerksam folgen, wenn die Pflegeeltern emotional aufgewühlt und dadurch unaufmerksamer sind. Er kann das Gespräch dadurch mit den Pflegeeltern nachbereiten. Der Beistand kann auch – wenn das Gespräch gemeinsam mit den Pflegeeltern vorbereitet wurde und der Beistand weiß, worum es ihnen geht – die für die Pflegeeltern wesentlichen Punkte ansprechen, wenn diese sie aufgrund ihrer emotionalen Belastung vergessen oder nicht klar genug ausdrücken können.

Gerade, wenn es Schwierigkeiten in der Kommunikation zwischen Jugendamt und Pflegeeltern gibt, kann auch für die Fachkräfte die Anwesenheit eines Beistandes positiv sein. Dies kann zur Versachlichung des Gespräches beitragen.

Das Vorhaben, einen Beistand zu einem Gespräch mit zu bringen, muss nicht angekündigt werden. Es kann allerdings durchaus sinnvoll und ein Zeichen von Fairness sein, den Wunsch vorab dem Jugendamt mitzuteilen. Möglicherweise ergibt sich bereits aus der Ankündigung eine neue Gesprächsmöglichkeit.

Begleiteter Umgang von Pflegekindern

Begleiteter Umgang von Pflegekindern kann im Rahmen der Hilfeplanung vereinbart oder durch das Gericht angeordnet (§ 1684 Abs. 4 BGB) werden.

Er kommt zum Beispiel dann in Betracht, wenn
· zum Schutz des Kindes eine Beaufsichtigung erforderlich ist,
· die leiblichen Eltern Unterstützung im Umgang mit dem Kind benötigen,
· die Bezugspersonen des Kindes (z. B. Pflegeeltern und leibliche Eltern) in starker Konkurrenz zueinander stehen oder „nichts miteinander zu tun haben wollen“,
· leibliche Eltern die Unterbringung des Kindes nicht akzeptieren können und durch ihr Handeln oder ihre Aussagen das Pflegeverhältnis „torpedieren“ und das Kind verunsichern ,
· nach langer Kontaktpause wieder Kontakte angebahnt werden sollen,
· eine problembeladene Beziehung zwischen dem Kind und der Umgangsperson besteht, die mit Loyalitätskonflikten des Kindes einher geht oder
· Pflegeeltern nicht bereit sind, den Umgang des Kindes zu seinen Eltern aktiv zu unterstützen und es ihrerseits in Loyalitätskonflikte bringen.

Begleiteter Umgang kann übergangsweise (z.B. zu Beginn des Pflegeverhältnisses) oder langfristig stattfinden. Ob eine übergangsweise oder eine langfristige Umgangsbegleitung erforderlich ist, ist abhängig von den Gründen, die die Begleitung erforderlich machten und der Entwicklung, die sich aus dem begleitenden Prozess ergeben können.

Wie umfangreich die Begleitung ist, ist unterschiedlich. Es ist denkbar, dass lediglich eine neutrale Person anwesend ist, die beobachtet oder dass mit den Bezugspersonen des Kindes darüber hinaus gearbeitet wird, um sie zu befähigen zukünftig unbegleiteten Umgang wahrnehmen zu können.

Gelingt es trotz begleiteten Umgangs nicht, einen für das Kind ausreichend sicheren Rahmen zu schaffen, sollte der begleitende und beratende Prozess beendet und eine Aussetzung des Umgangs vereinbart/ bei Gericht beantragt werden.

Die Umgangsbegleitung kann durch das Jugendamt selber erfolgen. Es können aber auch ein freier Träger, eine Kinderschutzorganisation oder eine geeignete Person (z.B. eine Psychologin oder Sozialarbeiterin) damit beauftragt werden.

Antrag auf Verbleib

Wann kann ein Antrag auf Verbleib („Verbleibensantrag“) gestellt werden?

Wird von Seiten des Jugendamtes oder der leiblichen Eltern erwogen, ein Pflegekind aus der Pflegefamilie herauszunehmen und zu den leiblichen Eltern zurückzuführen und sehen die Pflegeeltern hierin eine Gefährdung des Kindeswohls, können die Pflegeeltern gem. § 1632 Abs. 4 BGB einen Antrag auf Verbleib stellen.

Für eine anzunehmende Gefährdung des Kindeswohls ist es nicht zwangsläufig notwendig, dass die leiblichen Eltern (weiterhin) erziehungsunfähig sind oder dem Kind von dort tatsächlich eine konkrete Gefährdung droht. Sie kann vielmehr auch dann bestehen, wenn das Kind in der Pflegefamilie verwurzelt ist und von daher durch die Herausnahme aus der Pflegefamilie, die seine Bezugswelt darstellt, ein erheblicher Schaden für das Kind zu erwarten ist.

Ist geplant, ein Kind kurzfristig aus der Pflegefamilie herauszunehmen und erklärt sich der Inhaber des Aufenthaltsbestimmungsrechtes nicht dazu bereit, das Kind bis zur Entscheidung über einen Antrag auf Verbleib in der Pflegefamilie zu belassen, kann der Antrag auf Verbleib verbunden werden mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung.
Hiermit soll die Möglichkeit geschaffen werden, über die erforderliche Zeit für eine Entscheidung im Hauptverfahren zu verfügen, ohne dass durch einen Umzug des Kindes zuvor Fakten geschaffen werden, die dem Kindeswohl möglicherweise entgegen laufen.

Wo ist der Antrag auf Verbleib zu stellen?

Zuständiges Gericht für die Antragsstellung ist das Amtsgericht am Wohnort. Eine Anwaltspflicht besteht nicht. Ob Pflegeeltern sich zutrauen, ein solches Verfahren alleine zu führen, müssen sie selber entscheiden. Sofern ein Anwalt beauftragt wird empfiehlt es sich aber, einen auf das Pflegekinderwesen spezialisierten Fachanwalt zu wählen.

Beschwerdeinstanz ist das Oberlandesgericht (OLG). In Familiengerichtsangelegenheiten herrscht dort – im Gegensatz zu allen anderen Rechtsangelegenheiten – ebenfalls keine Anwaltspflicht.

Sofern Pflegeeltern einen Anwalt beauftragen, haben sie dessen Kosten in der Regel selber zu tragen, da sie von den Rechtsschutzversicherungen nicht übernommen werden. Pflegeeltern sollten aber versuchen, die Kosten vom Jugendamt erstattet zu bekommen, da sie nicht in ihrem eigenen Interesse sondern in dem des Kindes gehandelt haben.

Gerichtskosten, Gutachterkosten oder andere Auslagen sind Pflegeeltern nicht aufzuerlegen.

Was passiert im Verbleibensverfahren?

Das Gericht ist gehalten, anhand verschiedener Faktoren individuell zu prüfen, ob eine Herausnahme aus der Pflegefamilie – evtl. mit begleitenden Hilfen – im Interesse des Kindes vertretbar ist oder ob hiermit eine Kindeswohlgefährdung einher geht.

Eine gesetzlich verankerte Frist, innerhalb welcher Zeit ein Kind zu seinen leiblichen Eltern zurückgeführt werden kann und ab wann eine Herausnahme aus der Pflegefamilie nicht mehr möglich ist, gibt es nicht.
Es gibt jedoch Empfehlungen (vgl. Schwab und Zenz: Gutachten zum 54. Deutschen Juristentag), die – orientiert am kindlichen Zeitbegriff – davon ausgehen, dass
– Kinder, die bei der Unterbringung noch keine drei Jahre alt waren nach maximal zwölf Monaten und
– Kinder, die zum Zeitpunkt der Unterbringung zwischen drei und sechs Jahren alt waren, nach maximal 24 Monaten
derart fest in ihrer Pflegefamilie verwurzelt sind, dass eine Trennung nicht mehr vertretbar erscheint. Diese Empfehlungen sind nicht rechtlich bindend.

Das Gericht hat sich im Verbleibensverfahren mit folgenden Fragen zu befassen:
– Wie alt war das Kind bei der Inpflegegabe und wie lange lebt es in der Pflegefamilie?
– Welche Gründe gab es für die Herausnahme des Kindes?
– Wie häufig gab es Umgangskontakte zu den leiblichen Eltern und wie sind diese verlaufen?
– Welche Bindungen bestehen zwischen dem Kind und den leiblichen Eltern?
– Welche Bindungen ist das Kind in der Pflegefamilie eingegangen?

Da es hierbei weniger um rechtliche, sondern überwiegend um psychologische Aspekte geht, wird in der Regel ein kinderpsychologisches Gutachten erstellt. Hierbei ist es wichtig, dass der beauftragte Sachverständige über Kenntnisse im Bereich der Bindungstheorie verfügt.

In dem Gutachten ist zu überprüfen
– ob eine Herausnahme des Kindes aus der Pflegefamilie überhaupt vertretbar ist oder ob das Kind in der Pflegefamilie so tiefe und stabile Bindungen eingegangen ist, dass bereits durch die Trennung von den Pflegeeltern schwere und nachhaltige Schäden, die eine Kindeswohlgefährdung bedeuten, zu erwarten sind und
– ob im Falle einer Rückkehr zu den leiblichen Eltern diese über eine überdurchschnittliche Erziehungskompetenz verfügen, die sie befähigt, das Kind einfühlsam zu begleiten, um so zu erwartende Folgen der Trennung von den bisherigen Bezugspersonen so gering wie möglich zu halten.

Konkret bedeutet dies, dass für den Fall, dass durch eine Herausnahme aus der Pflegefamilie schwere Schäden für das Kind zu erwarten sind, der Verbleib anzuordnen ist – auch, wenn die Eltern (wieder) erziehungsfähig sind (und letztlich sogar auch, wenn sich herausstellen würde, dass die Eltern immer erziehungsfähig waren und eine Herausnahme gar nicht nötig gewesen wäre). Das Kindeswohl ist dann höher anzusiedeln als die Interessen der leiblichen Eltern.

Damit auch das Kind im Verbleibensverfahren einen Vertreter hat, hat das Gericht gem. § 50 Abs. 2 Nr. 3 FGG einen Verfahrenspfleger für das Kind zu bestellen. Er soll als „Anwalt des Kindes“ Sprachrohr des Kindes sein, dessen Interessen angemessen berücksichtigen und vertreten.

Anbahnung

Wenn ein Kind vor der Vermittlung in eine Dauerpflegefamilie in einem Heim oder einer Bereitschaftspflege lebt, wird in der Regel eine Anbahnung erfolgen. Sie soll den potentiellen Pflegeeltern und dem Kind ermöglichen, sich vor dem Umzug kennen zu lernen, sich behutsam aneinander anzunähern und Entscheidungssicherheit zu bekommen. Eine erfolgreiche Anbahnung erspart dem Kind einen (weiteren) abrupten Verlust von seinen derzeitigen Bezugspersonen und seinem momentanen Lebensmittelpunkt und ermöglicht ihm einen sanften Übergang in die neue Lebenssituation.

Was passiert in der Anbahnung?

Die potentiellen Pflegeeltern erhalten zunächst Informationen, die für die Vermittlung von Interesse sind: biographische Daten, Gründe für die Notwendigkeit der Unterbringung in einer Dauerpflegefamilie, Informationen über Erkrankungen, Behinderungen, Auffälligkeiten und therapeutischen Bedarf, rechtliche Situation (z.B. Sorgerechtsentzug), Perspektive (vermutliche Dauer, gerichtlich geklärt oder nicht u.a.) und Rahmenbedingung (Besuchskontakte, Einstellung der leiblichen Eltern zur Unterbringung des Kindes usw.).

Potentielle Pflegeeltern sollten sich nicht scheuen, in dieser Phase viele Fragen zu stellen, um einen möglichst umfassenden ersten Eindruck nicht nur von dem Kind, sondern auch den Umständen des Pflegeverhältnisses und möglichen Schwierigkeiten zu bekommen. Nur so können sie verantwortungsvoll entscheiden, ob sie sich die Aufnahme des vorgeschlagenen Kindes vorstellen können.

Wenn dies der Fall ist, erfolgen die ersten Treffen. Die potentiellen Pflegeeltern lernen das Kind in seiner momentanen Umgebung kennen. Beide bekommen voneinander einen Eindruck und können entscheiden, ob „es“ passen könnte.

Häufig erfolgt in dieser Phase auch ein Treffen zwischen leiblichen Eltern und potentiellen Pflegeeltern. Dieser erste Kontakt ist wichtig. Er ermöglicht eine erste Einschätzung, ob die Beteiligten sich eine Zusammenarbeit im Interesse des Kindes vorstellen können.

Wenn sich sowohl die potentiellen Pflegeeltern als auch das Kind (sofern es sich dazu äußern kann), die leiblichen Eltern und die beteiligten Fachkräfte eine Vermittlung weiterhin vorstellen können, werden die Kontakte zwischen der potentiellen Pflegefamilie und dem Pflegekind schrittweise ausgebaut: In der Regel besuchen zunächst die künftigen Pflegeeltern das Kind in seinem vertrauten Umfeld. Ist ein erster gegenseitiger Kontakt aufgebaut, besucht das Kind – evtl. zunächst in Begleitung seiner momentanen Bezugsperson – die künftigen Pflegeeltern. Die Besuch werden schrittweise ausgeweitet. Sie finden üblicherweise zunächst stundenweise, dann tageweise, dann mit Übernachtung und bei älteren Kindern evtl. auch mehrtägig statt.

Von den derzeitigen Bezugspersonen sollten sich die künftigen Pflegeeltern so viel wie möglich zum Kind berichten lassen. Welche Vorlieben und Abneigungen hat es, welche Rituale kennt es? Wie schätzen die Bezugspersonen das Kind ein? Wie gehen sie mit kritischen Situationen um? Die Bezugspersonen haben häufig eine längere Zeit mit dem Kind zusammen gelebt und können daher hilfreiche Anregungen geben. Zudem wird dem Kind der Übergang in die neue Familie erleichtert, wenn es bestimmte Konstanten (z.B. bekannte Rituale) gibt.

Wie lange dauert die Anbahnungsphase?

Es gibt keine klaren zeitlichen Vorgaben für die Dauer der Anbahnung. Sie kann wenige Tage dauern oder mehrere Monate und ist abhängig vom Alter des Kindes, der Dauer der Unterbringung in der jetzigen Stelle, der Qualität der Bindungen, die es dort eingegangen ist und von seiner Bereitschaft, sich auf die neue Situation einzulassen.

Wer hat in der Anbahnungsphase das Sagen?

In der Anbahnungsphase sollten die derzeitigen Bezugspersonen, die künftigen Pflegeeltern und die beteiligten Fachkräfte vertrauensvoll und einfühlsam zusammen arbeiten.

Häufig überlassen die beteiligten Fachkräfte die konkrete Ausgestaltung der Anbahnung den derzeitigen Bezugspersonen und den künftigen Pflegeeltern weitestgehend selbstständig. Sie sind aber immer ansprechbar und sollten die Anbahnung professionell unterstützen und bei der Entwicklung klarer Absprachen helfen.

Manchmal möchte die Pflegefamilie „ihr“ Kind möglichst schnell zu sich holen und hat das Gefühl, ausgebremst zu werden. Hier sollten die potentiellen Pflegeeltern bedenken, dass eine behutsame Anbahnung das spätere Zusammenleben wesentlich erleichtern kann. Sie sollten die Einschätzung der derzeitigen Bezugspersonen zur Gestaltung der Anbahnungsphase ernst nehmen, sie kennen das Kind momentan am besten.

Es ist wichtig, dass sich alle Beteiligten regelmäßig über den Verlauf der Anbahnungsphase austauschen. Wenn dies erfolgt, werden sie gemeinsam den richtigen Zeitpunkt für die Übersiedlung erkennen.

Kann die Anbahnungsphase abgebrochen werden?

Die Anbahnungsphase soll nicht nur dem Kind zu einem möglichst sanften Übergang verhelfen, sie soll auch den künftigen Pflegeeltern die größtmögliche Gewissheit geben, dass sie dieses Kind tatsächlich dauerhaft bei sich aufnehmen möchten.

Zweifel kommen in der Anbahnungsphase häufig auf und sollten mit der zuständigen Fachkraft besprochen werden. Oft entspringen sie eher einer „Angst vor der eigene Courage“ und lassen sich schnell ausräumen. Manchmal haben sie aber auch tiefergehende Gründe (die Pflegefamilie befürchtet, mit der Aufnahme dieses Kindes überfordert zu sein, sie findet keinen Bezug zu dem Kind o.ä.). Dann kann und sollte die Anbahnung abgebrochen werden. Weder Mitleid mit dem Kind noch die Angst, nie mehr ein Kind vorgeschlagen zu bekommen oder eine lange Wartezeit bis zu dem erfolgten Kindervorschlag, sollten dazu führen, eine Anbahnung gegen die eigene innere Überzeugung fortzuführen. Der Abbruch einer Anbahnung ist keine „persönliche Bankrotterklärung“, sondern vielmehr ein Zeichen von großem Verantwortungsbewusstsein und wird von den Jugendämtern in der Regel auch genau so gesehen!

Alltagsentscheidungen

Grundsätzlich sind Entscheidungen, die ein minderjähriges Kind betreffen, von den sorgeberechtigten Eltern bzw., wenn ihnen das Sorgerecht ganz oder teilweise entzogen wurde, von einem Vormund bzw. Pfleger zu treffen.

Lebt ein Kind in einer Pflegefamilie, müssen jedoch die Pflegeeltern bestimmte Entscheidungsbefugnisse haben, damit sie überhaupt handlungsfähig sind.

Gem. § 1688 BGB Abs. 1 sind Pflegepersonen, die ein Kind für längere Zeit in Familienpflege aufnehmen, daher „berechtigt, in Angelegenheiten des täglichen Lebens zu entscheiden sowie den Inhaber der elterlichen Sorge in solchen Angelegenheiten zu vertreten (…)“.

Hiermit gibt der Gesetzgeber Pflegepersonen das Recht, in alltäglichen Dingen zu entscheiden. Solche Alltagsentscheidungen sind u.a.:

routinemäßige Arztbesuche
die Wahrnehmung alltäglicher schulischer Belange: Gespräche mit Lehrern, Teilnahme an Konferenzen, Zeugnisunterschrift, Entscheidung über die Teilnahme an Arbeitsgemeinschaften, Klassenfahrten o.ä., Teilnahme an Klassenpflegschaftssitzungen und Übernahme eines Amtes
Urlaube (Ausnahme: in Krisengebiete o.ä.)
Besuche des Kindes bei Freunden oder Verwandten er Pflegefamilie
Einkäufe für das Kind
Anmeldungen in Vereinen

Für Entscheidungen grundsätzlicher Art (Grundentscheidungen) trägt der Sorgeberechtigte/ Vormund die Verantwortung. Sie sind von ihm vorzunehmen. Dies sind u.a.:

Anmeldung zu Kindergarten und Schule
Einwilligung zu Lehrverträge
Einwilligung in Operationen (außer unaufschiebbare Eingriffe)
Impfentscheidungen
Bestimmung des ständigen Aufenthaltes des Kindes (Wohnort)

Die Grundentscheidungen sollen nicht willkürlich getroffen werden, sondern werden im Rahmen der Hilfeplanung besprochen. Sie müssen dem Kindeswohl entsprechen. Wollen die sorgeberechtigten Eltern Entscheidungen treffen, die dem Kindeswohl nicht entsprechen und ist keine Einigung möglich, kann das Jugendamt das Familiengericht beteiligen und beantragen, dass von dort eine dem Kindeswohl entsprechende Entscheidung ergeht bzw. dass das Sorgerecht (teilweise) entzogen wird (§ 1688 BGB Abs. 3).

In Fragen der religiösen Erziehung sind die leiblichen Eltern immer zu beteiligen, unabhängig davon, ob sie sorgeberechtigt sind oder nicht.

Abbruch eines Pflegeverhältnisses

Immer wieder kommt es vor, dass ein Pflegeverhältnis vorzeitig aufgelöst werden muss.

Hierfür kann es vielfältige Gründe geben:
· Zwischen den Pflegepersonen und dem Kind haben sich Konflikte und Beziehungsstörungen derart manifestiert, dass ein weiteres Zusammenleben nicht mehr möglich ist.
· Der betreuerische, pflegerische oder erzieherische Bedarf des Kindes übersteigt die Möglichkeiten der Pflegepersonen.
· Die Rahmenbedingungen des Pflegeverhältnisses (z.B. Einflussnahme durch die Herkunftsfamilie oder auch Jugendamt) beeinträchtigen das familiäre Leben in einem Rahmen, der nicht mehr tragbar ist.
· Notwendige Hilfen und Unterstützung werden nicht gewährt, die Pflegefamilie fühlt sich allein gelassen.
· Andere in der Pflegefamilie lebende Personen (in erster Linie andere Kinder) werden durch das Pflegeverhältnis über Gebühr belastet.

Das Kind wechselt dann aus der Pflegefamilie in einen anderen Hilferahmen (andere Pflegefamilie, professionelle Pflegefamilie, Heimeinrichtung o.ä.).

Für die Pflegeeltern und das Kind bedeutet dies – trotz aller Probleme – eine einschneidende und schmerzhafte Trennungserfahrung.

Pflegeeltern müssen erfahren, dass sie trotz allen Bemühens (und oft auch trotz vielfältiger und professionell begleiteter Konfliktlösungsversuche) an ihre Grenzen geraten und haben das Gefühl zu versagen. In der Regel liegen die Gründe für das Scheitern eines Pflegeverhältnisses aber nicht in ihrer Person oder ihrer grundsätzlichen Befähigung als Pflegeperson. Vielmehr ist der Abbruch eines Pflegeverhältnisses häufig ein Ausdruck dafür,
· dass die Form der Unterbringung in einer Pflegefamilie nicht die richtige war (z.B. weil das Kind nicht (mehr) familienfähig ist oder
· dass die Bedürfnisse des Kindes und die damit verbundenen Anforderungen an die Pflegefamilie fasch eingeschätzt wurden oder aufgrund unzureichender Informationen zum Zeitpunkt der Unterbringung nicht einschätzbar waren.
Häufig verstärken sich auch die Problematiken der Kinder mit zunehmendem Alter und entwickeln sich zu einer erheblichen Belastung für alle Familienmitglieder.

Es ist wichtig, dass es Pflegepersonen gelingt, sich von Versagens- oder Schuldgefühlen zu befreien. Sie müssen trauern und die Trennungssituation bewältigen können ohne sich oder das Kind mit Vorwürfen zu belasten. Hierbei benötigen sie eine einfühlsame Begleitung – auch über die Beendigung des Pflegverhältnisses hinaus.

Auch die Kinder müssen im Falle eines Pflegeabbruchs intensiv begleitet werden. Für sie ist der Übergang in eine neue Lebenssituation nur schwer konstruktiv zu bewältigen. Auch wenn sie äußerlich scheinbar ungerührt oder erleichtert erscheinen und während des Pflegeverhältnisses kaum tiefere Bindungen an die Pflegeperson(en) erkennbar wurden, werden in der Regel Gefühle wie Trauer, Angst oder Aufregung aufkommen.

Beim Abbruch eines Pflegeverhältnisses müssen daher die Anliegen und Bedürfnisse des Kindes maßgeblich für die weitere Perspektiventwicklung sein. Es muss sorgsam abgewogen werden, welche Hilfeform folgen soll und wie diese so vorbereitet und umgesetzt werden kann, dass sie für das Kind eine Chance bedeutet und von ihm auch so erlebt werden kann.

Auch nach dem Abbruch eines Pflegeverhältnisses kann es dem Kindeswohl entsprechen, dass der Kontakt nicht gänzlich abbricht und die Pflegfamilie das Kind weiter begleitet. In diesen Fällen haben Pflegepersonen ein Umgangsrecht gem. § 1685 BGB .


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